Anita Augspurg-Preis 2024 für den Frauentreffpunkt Neuperlach

Liebe Frauen des Frauentreffpunkts Neuperlach, liebe Anwesende,
„…uns wurde beigebracht, unsere Unterschiede entweder zu ignorieren oder sie als
Gründe für Trennung und Misstrauen zu sehen, anstatt als Kräfte für Veränderung.
Ohne Gemeinschaft gibt es keine Befreiung.“


Diese Worte von Audre Lorde erinnern uns daran, dass Veränderung nie allein
geschieht. Es braucht Räume, in denen Frauen sich gegenseitig stärken, sich
solidarisch zeigen und gemeinsam für eine gerechtere Welt kämpfen. Genau ein
solcher Raum ist der Frauentreffpunkt Neuperlach – seit mittlerweile 50 Jahren.
Heute ehren wir diesen Raum und die Frauen, die ihn seit Jahrzehnten mit Leben
füllen. Euer unermüdliches Engagement, eure Ausdauer und eure Hingabe verdienen
größte Anerkennung.
1975, im Internationalen Jahr der Frau, gründete eine Gruppe engagierter Frauen
den Frauentreffpunkt Neuperlach – mit dem Ziel, Frauen in verschiedenen
Lebenslagen zu unterstützen, zu vernetzen und ihnen durch praktische Hilfe und
emotionalen Beistand eine Stimme zu geben. Ihr habt einen Ort geschaffen, an dem
Frauen Schutz, Austausch und Gemeinschaft finden – einen Raum, in dem sie eine
Auszeit von patriarchalen Anforderungen und Zuschreibungen nehmen können und
sich selbst ermächtigen.
Und allen Veränderungen in Gesellschaft, Politik oder im Stadtteil zum Trotz seid ihr
beständig geblieben. Ihr habt euch immer wieder angepasst, neue Bedarfe erkannt
und darauf reagiert. Ihr habt es geschafft, immer wieder kreative und
zukunftsweisende Wege zu finden, um Mädchen und Frauen in ihrer
selbstbestimmten Lebensgestaltung zu unterstützen. Ein Beispiel dafür ist die
Gründung des Kindertreffpunkts Oskar-Maria- Graf-Zentrum vor 25 Jahren. Als
immer mehr Mädchen zu euch in die Mädchengruppe kamen, habt ihr kurzerhand
einen Treffpunkt für Kinder ins Leben gerufen – weil ihr erkannt habt, dass auch sie
einen geschützten Raum brauchen.
Der Frauentreffpunkt Neuperlach ist heute der älteste noch bestehende Frauentreff
Münchens – und das, obwohl er seit seiner Gründung ausschließlich ehrenamtlich
beziehungsweise nebenberuflich organisiert wird. In eurer Bewerbung habt ihr
geschrieben: „Unsere eigentliche Währung ist die Zeit, die wir füreinander
einbringen.“ Das ist eine sehr treffende Formulierung! Sie zeigt, dass euer
Engagement nicht nur in Strukturen, sondern vor allem in zwischenmenschlichen
Beziehungen verwurzelt ist.
An mindestens fünf Tagen die Woche, an über 40 Wochen im Jahr, bietet ihr ein
vielfältiges, niedrigschwelliges Programm für Frauen in unterschiedlichen

Lebenssituationen: Es gibt Gruppen für junge Mütter, Seniorinnen, Kochkurse, Kunst-
und Kulturangebote, aber auch regelmäßige Ausflüge und die Möglichkeit zu

Austausch und Begegnung.

Hier, in einer ehemaligen Gaststätte mitten in einem Münchner Wohngebiet, ist ein
Ort entstanden, den ihr selbst als „zweites Wohnzimmer“ beschreibt – ein Raum des
Ankommens, der Geborgenheit und des Miteinanders.
Doch euer Engagement geht weit über die individuelle Unterstützung hinaus. Ihr
setzt euch für Geschlechtergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit ein. Ihr erkennt
nicht nur Missstände, sondern geht sie aktiv an. In einer Zeit, in der Einsamkeit
besonders unter Frauen zu einem gesellschaftlichen Problem wird, zeigt ihr
tagtäglich, was wirklich hilft: gelebte Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung.
Ich habe das selbst erlebt, als ich euch besucht habe – eine Gruppe Seniorinnen saß
beisammen, lachte, sprach über den Alltag, hörte einander zu.
Und euer Treffpunkt ist noch mehr: Er ist ein Ort gelebter Vielfalt. Zwei Drittel der
Frauen, die zu euch kommen, haben eine Migrations- oder Fluchtgeschichte. Sie
können sich im Frauentreffpunkt aktiv mit ihren eigenen Ressourcen und
Erfahrungen einbringen. Ihr macht sichtbar, dass sie Frauen mit individuellen
Geschichten, Talenten und Facetten sind und schafft einen Raum, in dem diese
vielen Facetten entdeckt und gelebt werden können.
Solidarität ist für euch kein abstrakter Begriff, sondern eine konkrete Praxis. Inmitten
einer zunehmend polarisierten Gesellschaft, in der Antifeminismus und Rassismus
wieder erstarken, beweist ihr, dass feministische Arbeit nicht trennt, sondern
verbindet.
Ihr zeigt, dass Geschlechtergerechtigkeit untrennbar mit sozialer Gerechtigkeit
verbunden ist und lebt einen Feminismus, der Frauen nicht in feste Kategorien
drängt, sondern sie in ihrer gesamten Vielschichtigkeit und Komplexität anerkennt.
Ihr zeigt, dass Solidarität unter Frauen keine romantische Idee ist, sondern eine
Notwendigkeit. Sie ist der Schlüssel zu echter Gleichberechtigung und
gesellschaftlichem Wandel. In eurer Arbeit wird sichtbar, wie lebendig diese
Solidarität ist und welche transformative Kraft sie entfalten kann.
Als ihr von der Preisvergabe erfahren habt, habt ihr am Telefon zu mir gesagt: „Hier
in unserem Stadtteil sind wir geborgen und fühlen uns selbstbewusst. Aber dass wir
münchenweit wahrgenommen werden, das ist schon eine Hausnummer. Das wird
uns jetzt erst bewusst.“ Ich hoffe, dass euch dieser Preis noch einmal bewusst
macht, wie großartig eure Arbeit ist – und dass sie weit über euren Stadtteil
hinausstrahlt, weil sie unglaublich wichtig ist für München.
Liebe Frauen des Frauentreffpunkts Neuperlach, ich freue mich riesig, dass ihr heute
diesen Preis erhaltet. Ihr habt ihn so sehr verdient! Nicht nur für euer langjähriges
Engagement, sondern auch für eure anhaltende Innovationskraft und eure Fähigkeit,
immer wieder neue Wege zu finden, um Frauen in allen Lebenslagen zu
unterstützen.
50 Jahre Engagement, 50 Jahre Frauenarbeit, 50 Jahre gelebte Solidarität – und
heute bekommt ihr die Anerkennung, die ihr verdient.


Herzlichen Glückwunsch zum Anita-Augspurg-Preis!

Danii Arendt, Münchner Fachforum für Mädchenarbeit